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HELLAS FILMBOX UND BOX FREIRAUM

 

Helene Varopoulou

Zur Foto-Ausstellung von Nelly Tragousti

Die Fotographien von Nelly Tragousti rufen dem Betrachter Gesichter und Räume aus jenen Tagen ins Gedächtnis, als Theo Angelopoulos in Deutschland und besonders in Berlin mit den Dreharbeiten für seinen letzten vollendeten Film „Der Staub der Zeit“ beschäftigt war. Im Vordergrund steht die Gestalt des großen griechischen Regisseurs - sein Gesicht unter der Apparatur der Kamera, seine Gesten im Gespräch, bei Anweisungen oder Erklärungen für die Schauspieler und das Team. Seine Person bleibt mit ihrer Aura auch dort spürbar, wo er selbst nicht im Bild erscheint. An den Akteuren fixiert die Fotografin etwas Vorübergehendes und Intimes, bevor oder nachdem sie in der Arbeit am Rollenspiel im Film aufgehen. Und sie führt uns die urbane Landschaft und die Räumlichkeiten vor Augen, in denen die Arbeit der Akteure, des Teams, des Regisseurs stattfand.

Die Schönheit der Fotographie hat, man weiß es, ihre eigenen Gesetze. Gerät das fotographische Bild zu schön, dann wirkt es glatt, der Blick gleitet sofort ab, das Foto spricht nicht mit mir, sondern nur von etwas. Und doch sind manche Fotos schön, sehr schön. Ihr Geheimnis besteht wohl darin, dass in ihrer eigenartigen Schönheit etwas anderes aufbewahrt liegt: Trauer. Der grundlegend melancholische Charakter aller Fotographie ist darin begründet, dass sie immer etwas von stummem Eingedenken an sich hat. Diese Anrufung des Staubs der Erinnerung kann ausgehen vom erfassten Raum, von einem alternden Gesicht oder auch von einem einzigen vielleicht ganz unabsichtlich ins Bild gekommenen Detail. Die hier versammelten Fotographien vereinen diese Züge aller bedeutenden Fotographie in eindrucksvoller Weise. Die Räume eröffnen der Imagination immer wieder eine fast unendliche Weite, manchmal in ihrer Leere, manchmal durch die Assoziationen, die an den sichtbaren konkreten kleinen Dingen haften. Das Gesicht spricht uns hier direkt an, weil die Zeit darin lesbar ist. Das Detail sagt uns: dies was ich jetzt sehe, war einmal da, am Leben, es verbürgt Realität. Jeder findet in den Fotographien ein besonderes Detail, das seinen Blick festbannt, obwohl oder weil es absolut nichts bedeutet – das, was Roland Barthes das „punctum“ der Fotographie genannt hat.

Nehmen wir ein Beispiel: die Serie der Aufnahmen von Michel Piccoli. Da ist der Raum, jene Kneipe, die schon auf diesen Fotos so wirkt als käme sie aus einer anderen, längst vergangenen Zeit. Nostalgischer Braunstich, der an uralte Familienfotos erinnert. Schönheit des Raums, wie sie Theo Angelopoulos in seinem Filmschaffen immer wieder zu schaffen wusste, eines Raums, der auf diesen Fotos leise ein altes Lied zu summen scheint. Sie erscheinen uns geheimnisvollerweise wie unbewohnte Orte, zeigen eine geradezu unpersönliche Leere, auch wenn ein Mensch darin zu sehen ist. Sie erwarten gleichsam geduldig, dass sie von den Dreharbeiten besetzt und mit Geräusch und Aktivität erfüllt werden.

In einem solchen Raum eine Gestalt: der gealterte Michel Piccoli in Hut und Mantel. Piccolis Gesicht hat sich in das Gedächtnis des Kinos eingeschrieben, ein interessanter, ein schöner Mann. Wir erblicken das älter gewordene Gesicht dieses Schauspielers. Es blickt wissend, ernst. Und wir spüren, geleitet durch die Kunst der Fotographie, jenen „Staub der Zeit“, der Theo Angelopoulos als poetischer Filmtitel diente. Man spürt ihn in der Haltung des Schauspielers, im Mantelkragen, in den Fransen des wärmenden Schals. (Für mich war das punctum hier die Falte vorn in seiner Hutkrempe.)

Die Fotos von Nelly Tragousti weisen eine offensichtliche szenische Qualität auf. Wenn man einige Zeit das Bild von Bruno Ganz und Irène Jacob auf sich wirken lässt, dann „sieht“ man erst: den nachdenklichen Blick von Bruno Ganz in die Ferne, von Irène Jacob auf den Boden. Und an beiden Blicken wird fühlbar, dass sie sich im Grunde nach innen richten, in ein Nichts führen, wo die große Nähe und die unendliche Ferne der Welt eins werden im Lauf der Zeit. Die Fotographie scheint eine ganze Geschichte in einer einzigen Szene zu konzentrieren. Das ist die Kraft des unbewegten Bilds: die Imagination des Betrachters zu mobilisieren, sie in Bewegung zu setzen. Das dürfte auch der Grund dafür sein, dass bei einigen der ganz großen Regisseure des „bewegten“ Bilds in unserer Epoche die Langsamkeit ihrer Filmwerke sprichwörtlich ist. Sie wollen den vertieften und denkenden Blick nicht der Sensation der raschen und zunehmend im Mainstreamkino sich geradezu überstürzenden Geschwindigkeit der Bilderzählung opfern.

Diese Fotos sind kostbar, sie halten für immer die Schneeflocken des Moments fest, den Moment einer Pause, einer Zeit „dazwischen“. So wird jede der Fotographien zur Verkörperung einer Paradoxie: sie sind eine „unendliche Pause“, erfüllt von Erinnerung, Erinnerung an einen epochalen Meister der Filmkunst. 

 

 

AUSSTELLUNGSZEITRAUM: 17.01.2017 - 28.01.2017

ERÖFFNUNG: 17. JANUAR 2017 UM 19 UHR

ÖFFNUNGSZEITEN: MITTWOCH BIS SAMSTAG 14 - 18 UHR

 
Eine Ausstellung kuratiert von Helene Varopoulou
 
In Kooperation mit dem Presse und Kommunikationsbüro der Griechischen Botschaft
Nelly - Kanellatragousti
  
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